06/2017 

 

Juni/Juli 2017, mein Jahr als Jesuit Volunteer in Bosnien und Herzegowina neigt sich dem Ende zu. Dabei kommt bei mir gerade nur schwer Abschiedsstimmung auf, wo doch gerade alles so gut läuft! Was mache ich aber denn eigentlich alles gerade? Eine Bestandsaufnahme.

 

Das Telex. Montags, Donnerstags und Samstags.

Ins Telex zu gehen ist für mich meistens wie ein Tag Abstand vom Kinderheim, eine kleine Verschnaufpause sozusagen. Es ist schön, in die Innenstadt zu fahren, das wuselige Leben dort zu sehen und dann von meinen lieben Kollegen begrüßt zu werden. Oben die Tasche aufhängen, an allen Mini-Büros vorbei und kurz eine Begrüßung austauschen und dann geht’s runter in den Klassenraum, wo meistens schon meine Kollegin auf mich wartet. Entweder ist schon das eine oder andere Kind da oder wir warten und überlegen uns, was wir denn mit denen mal machen könnten, wer auch immer kommt... Nach und nach trudeln Kinder mit ihren Eltern ein, mal mit stürmischem „Dobar dan!!!“, mal mit einem genuschelten „cao“ hinter der Mama hervor. Spielsachen werden aus den Kisten gegraben und auf dem Tisch verteilt, Musik angemacht und dann wird gepuzzelt, Autorennen gefahren, Häuser gebaut, Perlenketten gebastelt oder, oder, oder. Da sitzen dann Amer, Dino, Selmir, Edsal, Sejo, Smajo, Senada und Edina zusammen an einem Tisch und mit mal mehr, mal weniger Harmonie wird gespielt. Im Laufe des Tages lernen wir mit dem Einen die Zahlen, mit dem Anderen ein bisschen lesen, es gibt ein Mittagessen für alle und später gehen wir vielleicht noch nach draußen, um Fussball, Fangen oder Basketball zu spielen. Die Zahl der Kinder steigt in Richtung Mittagessen und nach und nach werden sie dann alle wieder abgeholt. Der Kontakt mit den Eltern ist dabei auch sehr interessant. Manche mürrisch, viele dankbar schieben, tragen, ziehen oder fahren sie ihre Kinder nach Hause. Ein Vater fährt seinen Sohn jeden Tag 14 Kilometer mit dem Fahrrad in die Stadt, damit er bei uns die einzige Mahlzeit des Tages bekommt. Ein anderer erzählt mir, sein Sohn dürfe ja nicht mit den Roma-Kindern in Kontakt kommen, er soll lesen lernen, und wehe wir fangen an mit ihm etwas zu spielen. Eine Mama läd mich auf ein Eis nächste Woche ein, eine andere Mama holt ihre Kinder mit dem Audi ab, ihre kommen nicht, weil sie die Unterstützung brauchen, sie möchte, dass ihre Kinder keinen Unterschied zwischen arm und reich machen und genauso mit den anderen Kindern spielen können, die aus sehr armen Verhältnissen kommen. Die Kinder sind weg, der Klassenraum aufgeräumt und bei einer Tasse Kaffee wird oben im großen Raum über dies und jenes geredet. Nach dem Kaffee mache ich mich entweder auf den Weg nach Hause oder bleibe in der Stadt, um Freunde zu treffen.

Der Samstag ist meistens für die Kinder etwas aufregender, deshalb kommen oft doppelt so viele wie unter der Woche. Samstags lösen sich verschiedene Workshops ab, die von Freiwilligen gestaltet werden. Englischkurs, Tanzkurs, Kreativworkshop und Deutschkurs. Oder es wird eine kleine Feier für diejenigen gemacht, die unter der Woche Geburtstag hatten.

 

Das Dom za Djecu (Heim für Kinder). Dienstags, Mittwochs und Freitags.

Was ich im Dom den Tag über mache habe ich im Eintrag "11/2016 Weihnachtsstimmung?"schon mal beschrieben, deshalb will ich das hier nicht noch mal wiederholen. Ich kann aber vorne weg schon mal sagen, dass die Arbeit mir dort mittlerweile deutlich mehr ans Herz gewachsen ist und mir richtig Spaß macht. Der Kontakt zu den 12 (!) Jungs in unserer Familie ist deutlich vertrauter und enger geworden und ich konnte mir mehr Autorität erarbeiten. Das heißt nicht, dass es weniger anstrengend ist, ich komme meistens völlig platt nach Hause. Aber ich verstehe jetzt viel besser warum sich die Kinder verhalten, wie sie sich verhalten und kann besser darauf reagieren. Leider habe ich auch einiges mitbekommen, dass mich hilflos oder auch sauer gemacht hat, so zum Beispiel mit welcher (nicht vorhandenen) Arbeitsmoral einige meiner Kollegen als Pädagogen an die Arbeit mit Kindern herangehen. Oder wie eine Kollegin einen der etwas älteren Jungs regelmäßig in ihrem Büro hat und sich erzählen lässt, was in den anderen Gruppen nicht läuft. Dass sie dem Kind dadurch eine Sonderstellung gibt und er auf uns nicht mehr hört, scheint ihr egal zu sein, genauso, dass sie ihm regelmäßig neue Klamotten kauft. Ihr seht, es gibt auch einiges mit dem ich im Kinderheim innerlich nicht zufrieden bin. Es hat sich eine Struktur festgesetzt, die nicht für das Wohl der Kinder, sondern für das einiger Mitarbeiter sorgt. Zum Glück gibt es aber auch ein paar Kollegen, die versuchen, das einigermaßen wieder auszugleichen und den Kindern eine gute Erziehung zu geben. Bei mittlerweile zwölf Jungs in unserer Familie (man stelle sich eine normale Familie mit zwölf Jungs im beinahe gleichen Alter vor) ist das aber wirklich nicht leicht. Deshalb wird viel geschimpft und auch bestraft. Ich als Freiwilliger habe mir eine Sonderrolle geschaffen. Ich versuche einen Gegenpol zu dem Stress zu bilden und den Jungs Freude, Zusammenhalt und Respekt zu vermitteln. Damit ein Fußballspiel keine Mischung mehr ist aus Rumschreien, Weinen, Rempeln und Alleingängen. Oder, dass es Spaß machen kann, sein Zimmer aufzuräumen, das Geschirr abzuwaschen oder den Müll nach draußen zu bringen.

Meine neueste Beschäftigung im Kinderheim ist jetzt das Haare schneiden. Heute stand das wieder mal an und jetzt laufen alle wieder „kao Kristijano Ronaldo“ (wie Christiano Ronaldo) oder „kao ti“ (wie du, also so wie ich ;) ) rum.

Leider gibt es hier wieder das Problem, dass ich nicht die Erlaubnis habe, Bilder von den Kindern zu veröffentlichen, die gibt es dann, wenn ich wieder da bin!

 

Salsa. Endlich ein Hobby.

Ja, ich tanze jetzt Salsa und ja es gibt wirklich einen Salsakurs in Tuzla! ;) Zwei Mal in der Woche gehe ich jetzt also Abends zum Tanzen und meistens danach noch was trinken mit den Leuten aus dem Kurs. Eine sehr lustige Truppe...

 

Ramazan. Muslimischer Fastenmonat.

Bis vor kurzem fand der muslimische Fastenmonat Ramazan statt. Wenn man wollte, bekam man davon aber in Tuzla fast nichts mit. Genauso ist es aber andersherum, wenn man sich dafür interessiert wird man mit offenen Armen empfangen. Franzi und ich haben in der ersten Woche den Ramazan mitgefastet. Das heißt von Sonnenaufgang (halb drei) bis Sonnenuntergang (halb neun, abends) keine Nahrung und keine Getränke zu sich nehmen, auf alle Genüsse verzichten. Dazu gehören auch Alkohol, Zigaretten und anderes, auf das man unter Umständen normalerweise nicht verzichten möchte. Das wusste ich bereits, bevor ich nach Bosnien gekommen bin. Aber wie viel noch dazugehört, habe ich erst hier gelernt. Es soll ein Monat des Innehaltens und des Friedens sein. Also verzichtet man auch auf alle anderen Dinge, die einen belasten, beziehungsweise ablenken könnten. Jeglicher enger oder sexueller Kontakt zum anderen Geschlecht, Schimpfwörter, negative Gedanken, Streit, Neid, Missgunst, Hass usw. sollen in dieser Zeit keine Rolle spielen. Das hat bei mir zu einer inneren Leichtigkeit geführt, es ist wirklich so, dass man sich einfach besser fühlt, indem man diese Gedanken gar nicht erst zulässt.

Das große Problem kam dann aber nach zwei, drei Tagen zum Vorschein. Die Hitze plus Wassermangel. Obwohl man nachts in einer Tour Wasser trinkt, um den Wasserhaushalt zu normalisieren, reicht das nicht, um den ganzen Tag ohne Durst zu sein. Dieses und auch letztes Jahr war der Ramazan jeweils zu einer sehr heißen Zeit des Jahres (meist über 30 Grad), mit einer großen Zeitspanne zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. So ist es ganz besonders schwer, das Fasten durchzuhalten. Franzi und ich haben irgendwann festgestellt, dass der Wassermangel und auch der Hunger den ganzen Tag prägt, spätestens ab dem Nachmittag wurden wir träge, ungeduldig und haben nur noch an das erlösende Fastenbrechen „Iftar“ am Abend gedacht. Das hat unserer Meinung nach den Sinn des Ramazan nicht mehr erfüllt, gerade da ich in der Woche im Dom Spätschicht hatte und irgendwann gar nicht mehr richtig auf der Höhe war und auf das Spielen mit den Kindern draußen in der Sonne verzichten musste. Also haben wir das Fasten nach einer Woche beendet. Das Fazit: Eine sehr interessante Erfahrung trotzdem, gerade Momente wie das gemeinsame Fastenbrechen im Kinderheim am Abend mit den älteren Kindern oder das Aufstehen mitten in der Nacht zum Frühstück, zu sehen, wie in der Nachbarschaft um halb drei Uhr nachts überall im Küchenfenster Licht ist und wir alle gemeinsam das Frühstück mit einer Dattel und einem Schluck Wasser begonnen haben. Das hatte schon etwas Besonderes. Und auch die ersten Tage waren wirklich gut, bis der Wassermangel dann zu viel wurde.

So haben aber offenbar nicht nur wir das gesehen! In Bosnien wird in vielen Teilen ein sehr liberaler Islam gelebt wird, sodass viele meiner Bekannten das mit dem Fasten nicht so richtig ernst genommen haben. An Bajram, dem Ende des Fastenmonats wird dann aber trotzdem fleißig selbstgemachtes Baklava gegessen und mit der Familie gefeiert. Einen Grund zum Feiern nehmen die Bosnier nämlich sehr gerne mit ;)

 

Besuch. ...

Ob andere Freiwillige aus dem Kosovo oder Rumänien, Familienmitglieder oder Freunde, wir sind zum beliebten Ausflugsziel geworden! Die Tour durch die Stadt, durch den Park, vorbei an dem Salzseeschwimmbad, zum Rathausplatz (ohne Rathaus siehe Eintrag 1) ist für uns fast schon Routine, trotzdem war es für mich immer spannend zu sehen, wie unsere Gäste mit offenen Augen und einer anderen Sicht auf Bosnien durch die Stadt gelaufen sind. Das hat auch bei mir oft zu kleinen neuen Entdeckungen geführt oder dazu, dass ich Dinge nochmal hinterfragt habe. Auf dem Foto wir es uns mit unseren Mitfreiwilligen aus dem Kosovo in einem Park in Tuzla bequem gemacht... 

Die Wochenenden.

Kaffeetrinken bei unser Nachbarin oder unser Vermieterin Fadila gehört meistens zum Wochenende dazu. Sehr gerne helfe ich ihr auch auf dem kleinen Feld vor dem Haus. Abends geht es in die Stadt und manchmal tagsüber auf einen Ausflug. Neulich war ich mit zwei Freunden beim „vikendica“ (Wochenendhaus) des einen und wir haben einen Tag da verbracht, bosnisch gegrillt, deutschen Apfelkuchen gegessen, im Garten gearbeitet und sind ein bisschen gewandert. Seine Großeltern haben dort gewohnt und sind im Krieg über mehrere Tage zusammen mit ihm und seinen Eltern durch die Berge und den Wald nach Tuzla geflohen. Solche Geschichten hört man früher oder später von jeder Person hier in Tuzla. Erst neulich hat uns Fadila die Geschichte erzählt, wie sie mit ihren Kindern durch den Krieg geflohen ist. Nordöstlich von Tuzla haben sie gewohnt und sind von da aus erstmal nach Tuzla geflohen. Ihr Mann konnte nach Deutschland und dort arbeiten, um die Familie zu finanzieren. Sie ist mit den Kindern von Verwandten zu Verwandten und Notunterkunft zu Notunterkunft in Bosnien, Kroatien, Österreich und Deutschland geflohen. Die ganze Geschichte würde jetzt den Rahmen sprengen, auf jeden Fall hat mir das auch mit Bezug auf die aktuelle Situation von Flüchtenden vor Armut, Krieg und Ausweglosigkeit, viel zu Denken gegeben.

Gartenarbeit beim "Vikendica" von Dragans Familie
Gartenarbeit beim "Vikendica" von Dragans Familie

Es geht rund momentan, Momente der Ruhe sind eher selten, aber ich genieße meine Zeit vor der Ausreise sehr! Einen Abschlussbericht dazu wird es bestimmt auch noch geben.

Bevor das Jahr ganz zu Ende ist, noch eine Bitte: Mit Beginn dieses Jahres als Freiwilliger wurde für jeden von uns ein persönliches Spendenkonto eingerichtet. Mögliche Spenden auf diesem Konto sollen mit Ende des Jahres in direkter Absprache mit mir in meinen Arbeitsstellen eingesetzt werden. Ich habe jetzt von meinen beiden Arbeitsstellen einiges berichtet und auch über das Land Bosnien und Herzegowina. Ich weiß, es ist oft einfacher, sich Not und Leid in weit entfernten Regionen der Erde vorzustellen. Aber oft unbeachtete Realität ist, dass es auch bei uns in Europa sehr arme und chancenlose Menschen gibt. Das Telex macht mit seinen Projekten und der Kinderbetreuung wirklich großartige Arbeit und arbeitet vor allem mit und für die Kinder, die so gut wie gar nichts zur Verfügung haben. Die Kinder im Kinderheim sind zwar mit Nahrung, einem Schlafplatz und Kleidung versorgt, bei ihnen fehlt es aber an Zuneigung, schönen Erlebnissen und einer Kindheit, wie andere Kinder sie erleben dürfen. Wenn von Euch jemand diese Kinder unterstützen möchte, dann wäre sicherlich nicht nur ich demjenigen sehr dankbar. Was wir mit den Spenden am Ende erreichen konnten, werde ich auf jeden Fall berichten, ich habe schon ein paar Ideen gesammelt!! Meine erste Idee, nämlich das Dom darin zu unterstützen, in den Familien neue Fenster einzubauen, die richtig schließen, wird im Moment schon ohne mein Zutun umgesetzt. 

Auf diesem Weg könnt Ihr finanziell unterstützen:

 

Empfänger: Jesuitenmission

IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82 (Liga Bank)

BIC: GENO DEF1 M05

Verwendungszweck: Projekt X38238 von Nöfer Johannes

Wenn Ihr eine Spendenquittung benötigt, gebt ihr noch "Spendenquittung an: Name + Adresse" an. 

 

Vielen Dank und Sommerliche Grüße!!

 


04/2017

 

Warum muss ich eigentlich gefühlt jeden Blogeintrag damit beginnen, mich dafür zu rechtfertigen, dass ich so lange nichts mehr veröffentlicht habe? Das schlechte Gewissen holt mich ein und ich gestehe, dass ich diesen Teil meines Freiwilligendienstes, nämlich den Bericht und die Reflexion des Erlebten, immer wieder gerne aufschiebe und vernachlässige. Eigentlich sollte es mir ja Arbeit abnehmen, damit ich nicht in jeder Mail an Freunde oder Bekannte alles nochmal erzählen muss. Ich versuche jetzt also mal, die wichtigen Ereignisse der letzten zwei bis drei Monate zusammenzufassen und einen kleinen Eindruck zu vermitteln, was ich so gemacht habe und entschuldige mich aufrichtig! ;)

 

Alles beginnt mit dem Winter, der sich bis in den Februar hinein bei uns breitgemacht hatte. Eine Zeit in der ich sehr viel zuhause war, einfach deshalb, weil es draußen nicht wirklich auszuhalten war! Die neblige Luft hat die Sonne oft nicht durchgelassen, es hat nach Schwefel und Kohle gestunken, durch den Schnee lief alles verlangsamt ab und es war bis zu minus 26 Grad kalt. Nicht die besten Bedingungen für Wanderungen, Fußballspielen oder Fahrradfahren... Sogar im Telex war weniger los, weil die Eltern ihre Kinder bei dem Wetter nicht aus dem Haus gelassen haben oder sie nicht aus ihren Dörfern in die Stadt gekommen sind. Zur Arbeit bin ich natürlich trotzdem gegangen. Gerade im Dom war es eine echte Herausforderung den ganzen Tag mit den Kindern im Haus zu sein, weil sich bei so vielen Jungs Energie aufstaut. Es ging oft drunter und drüber und ich hatte alle Hände voll zu tun. Im Dom ist es leider oft Tatsache, dass der oder die Freiwillige eine volle Erzieherposition besetzt, weil einige der anderen Angestellten, also meiner Kollegen, manchmal über Stunden verschwunden sind. Ich weiß nicht genau, was sie in dieser Zeit genau machen, vielleicht sind es auch sinnvolle Dinge, aber ihrer Arbeit, also der Betreuung der Kinder, kommen sie dann nicht nach. Für mich ist das eine ziemlich anstrengende Aufgabe und ich finde oft gerade mal die Zeit die Hausaufgaben mit den Kindern zu machen.

So war also auch in der Arbeit ein paar Wochen im Winter die Luft raus.

Zuhause haben wir die Zeit genutzt und unsere Wohnung ein bisschen aufgeräumt, sozusagen Halbjahresputz. Anlass dafür war Schimmel, der sich im Wohnzimmer gebildet hatte und den wir (hoffentlich) erfolgreich beseitigt haben. Wenn man schon mal dabei ist..., haben wir uns gedacht und das Wohnzimmer einmal komplett ausgeräumt und ausgemistet.

Wenn der Schnee dann aber einmal weg war und es nur ein bisschen wärmer wurde, sah die Welt außerhalb der Wohnung dann auch ganz anders aus. Plötzlich haben sich für mich viele Türchen geöffnet. Endlich wieder draußen mit den Kindern spielen, zur Arbeit laufen, auf dem Balkon sitzen usw. Außerdem habe ich über einen Deutschkurs im Agora ein paar neue Leute kennengelernt und ins Telex sind wieder mehr Kinder gekommen. Soziale Kontakte sind also wieder vorhanden gewesen und auch die ganze Nachbarschaft und die Stadt Tuzla ist aus dem Winterschlaf erwacht. Im März hatte ich dann auch noch eine sehr gute Gelegenheit, mal etwas Anderes zu sehen und aus Tuzla herauszukommen. Ein Freund von mir, der im Telex oft als Freiwilliger hilft, hat mich eingeladen mit zu seinen Großeltern aufs Land zu fahren. Genauer gesagt nach Bratunac, ein Dorf ganz in der Nähe von Srebrenica, das vielen von Euch ein Begriff sein könnte. Bei Srebrenica ist im Bosnienkrieg ein unglaubliches Kriegsverbrechen begangen worden, bei dem 8000 Muslime von serbischen Soldaten in Fabriken, Schulen und Turnhallen eingepfercht und später erschossen wurden. Und auch die muslimische Familie von meinem Freund Almedin war stark vom Krieg beeinflusst. Bosnisch-serbische Milizen haben noch bevor der Krieg offiziell begonnen hatte das kleine Dorf, in der die Großeltern bis heute wohnen, angegriffen und dabei Almedins damals sechsjährige Tante erschossen, die in den Armen ihrer Mutter (Almedins Großmutter) gestorben ist. Sie war damit das erste Kindesopfer des Krieges und diese Geschichte ging damals schon um die Welt. Während des Krieges kamen serbische Militärs in muslimische Dörfer, um die Söhne und Männer einzusammeln, die theoretisch kampfestüchtig gewesen wären. So wurden auch die beiden Onkel von Almedin mitgenommen und später in einem Massengrab tot aufgefunden. Seine Mutter (das vierte Kind) hat den Krieg überlebt, ist aber vor einigen Jahren verstorben. So haben beide Großeltern alle ihre vier Kinder überlebt.

Mit diesem Hintergrund bin ich also zu den Großeltern gefahren.

Ich wurde sehr herzlich empfangen, aber die Großmutter war gleichzeitig ziemlich verärgert, dass wir ihr nicht Bescheid gesagt hatten, wann wir kommen würden. So konnte sie nämlich nichts zu Essen vorbereiten und das war ein großes Problem. Die Kinder aus der Stadt kriegen ja sonst nichts Gescheites ( ;) ) und da muss sie natürlich alles geben. Sie hat dann selbstverständlich doch alles Mögliche an bosnischen Gerichten gezaubert und alles war wirklich sehr lecker. Typisch bosnisch muss es auch extrem viel zu Essen geben und ich als Gast habe immer die größte und beste Portion bekommen, musste alles probieren und eigentlich auch aufessen. Das stellte mich vor einige Probleme, Almedin und seine kleine Schwester hatten richtig Spaß dabei, der Großmutter zu ihrer Freude immer wieder nahezulegen, ich hätte noch großen Hunger! Es war also oft sehr lustig und sehr interessant, mal das Landleben in Bosnien zu sehen. Denn das sah dort ziemlich einfach aus. Das Haus hat einen beheizten Raum, in dem gekocht, gegessen, geschlafen und geredet wird, alle anderen Räume sind nicht geheizt, im Winter kalt und dienen als Lager. Gekocht wird auf einem Holzofen, der gleichzeitig auch die Heizung darstellt. Die einzigen elektronischen Geräte, die ich gesehen habe, waren das Handy der Großmutter und ein kleiner, alter Fernseher. Geschlafen wird auf den Sofas, man legt sich hin, wenn es dunkel ist und steht auf kurz bevor die Sonne aufgegangen ist. Zu dem Haus gehören ein paar kleine Felder mit Obstbäumen und Mais usw. Ein Auto haben die Großeltern nicht. Beide Großeltern waren nie weit von ihrem Dorf entfernt und sind mit 15 Jahren verheiratet gewesen. Trotzdem haben beide eine sehr große Lebenserfahrung und Weisheit ausgestrahlt. Für mich war das eine schöne Erfahrung!

Wir haben dort die Gedenkstätte für die Opfer des Massakers von Srebrenica besucht und sind später noch zu stark eisenhaltigen Heilquellen gefahren. Auf dem Weg zurück nach Tuzla, wurde mir direkt angeboten, doch beim nächsten Mal wieder mitzufahren und das werde ich ganz bestimmt tun.

Eine Woche später haben wir als WG unsere erste längere Reise unternommen. Das Zwischenseminar in Serbien stand an und nach einer langen Anreise, kamen wir im Seminarhaus an. Gemeinsam mit allen Osteuropa-Freiwilligen von der Organisation „Eirene“ und „Jesuit Volunteers“ hatten wir ein paar sehr interessante, lehrreiche, lustige und entspannte Tage. Es ging dabei vor allem um die Reflexion der vergangenen und die Visionen für die kommenden Monate. Interessant war auch, dass wir uns nahe der ungarischen Grenze befanden, ziemlich genau in der Region, durch die die Balkan-Route vieler Geflüchteter verläuft/verlief, die versuchen über Ungarn in die EU zu kommen. Bei einem Tagesausflug in die Stadt Subotica haben wir erfahren, dass sich ganz in der Nähe auch ein großes "Flüchtlingsdorf" befindet, sowie die Grenzanlage an der ungarischen Grenze. Für mich war es eine beeindruckende Erfahrung plötzlich so nah am Geschehen zu sein, das Deutschland und Europa momentan so beschäftigt! 

Hanna und ich hatten uns schon vor dem Seminar mit den beiden Jesuit Volunteers Patricia und Eva, die im Kosovo ihr FSJ machen, in Verbindung gesetzt und uns entschieden, nach dem Seminar noch eine Woche im Kosovo zu verbringen. Nach einem Zwischenstopp in der serbischen Hauptstadt Belgrad sind wir mit in den Bus nach Prizren (Stadt im Kosovo) gestiegen und nach sieben Stunden schöner Fahrt angekommen. Ihre Wohnung haben die beiden in ihrem Projekt. Die Jesuiten haben in Prizren 2005 eine private Schule plus Internat eröffnet, das Loyola-Gymnasium, mit dem Ziel eine gut ausgebildete und reflektiert denkende Generation von Jugendlichen auszubilden, die dem Kosovo beim politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau ihres Landes helfen können. Aber auch der soziale Gesichtspunkt soll nicht aus den Augen verloren werden. Einige Jesuiten, die Schule und die beiden Freiwilligen bauen zurzeit ein Sozialprojekt auf, in dem Schüler der Schule Verantwortung übernehmen können und gleichzeitig verschiedene soziale Schichten in Kontakt kommen. In der Nähe der Schule gibt es ein Viertel der Ashkali, einer Gruppe von Menschen, die im Kosovo ziemlich am Rand der Gesellschaft steht. Schüler des Gymnasiums geben Kindern im Ashkali-Viertel (normalerweise „Tranzit“ genannt) Alphabet-Unterricht und unternehmen etwas gemeinsam. Als Hanna und ich im Kosovo waren konnten wir uns in den Aufbau eines Instrumenten-Karussels einbringen, sodass sich Kinder aus dem Viertel ein Instrument aussuchen können, indem sie mittlerweile kostenlos Musikunterricht bekommen.

Neben den Aktivitäten in Tranzit engagieren sich Eva und Patricia jeweils noch in verschiedenen Teilen der Schule. Hier beschreiben sie das näher in ihrem Blog: https://eviundpaddiimkosovo.wordpress.com

Im Kosovo sind wir dann auch noch viel herumgekommen. Neben einem Besuch der Hauptstadt Prishtina haben wir eine Wanderung in die Berge um Prizren gemacht und ein wunderschönes serbisch-orthodoxes Kloster besucht, dass im albanisch geprägten Kosovo leider von internationalem Militär beschützt werden muss. An unserem letzten Abend wurden wir von einem Bekannten von Patricia, der als deutscher Soldat in Prizren stationiert ist, eingeladen eine serbische Familie zu besuchen. Es war sehr interessant, etwas über die Geschichte des alten Ehepaares zu erfahren, die schon viel zusammen durchgemacht haben. Im Kosovo ist der Krieg noch viel aktueller als in Bosnien, das machen nicht nur die vielen Militärfahrzeuge der Vereinten Nationen sichtbar. Nationalistische Strömungen und Unruhen gibt es weiterhin, vor allem fordern einige ein „Großalbanien“, also einen Zusammenschluss mit dem Nachbarland Albanien. Ruhig ist die Lage im Land zwar oberflächlich schon und es scheint sich zu erholen, unterschwellig gibt es die Meinungen, die auch zum Krieg geführt haben aber immer noch.

Trotzdem bin ich sehr positiv überrascht vom Kosovo, von dem ich vorher kein Bild hatte. Die unbeschränkte Gastfreundschaft, das schöne Prizren, das wirklich gute Essen, die tollen Berge!

Zurück in Tuzla hatte ich anderthalb Wochen, um mich wieder einzuleben, weil ich dann schon wieder unterwegs sein sollte. In der Woche habe ich mit den Kindern im Dom ein kleines Pflanzprojekt durchgeführt. Wir haben Kresse in kleine Becher gepflanzt und sie konnten jeden Tag schauen, wie viel schon gewachsen ist, bei wem sie am schnellsten wächst usw. Es war sehr schön zu sehen, wie die Kinder Verantwortung für ihre Pflänzchen übernommen und sich auf das Ergebnis gefreut haben! Gießen, die Becher in die Sonne stellen, lieber doch wieder in den Schatten, eine Stunde später schauen, ob sie schon größer sind und sie beim Wachsen anfeuern. Das Ziel sollte sein, dass wir alle zusammen die Kresse mit Brot und Frischkäse genießen können. Leider sind meine Eltern schon gekommen, bevor die Pflanzen groß genug zum Ernten waren und ich musste das Event an meine Kollegin Azra übertragen. Ich freue mich schon drauf, die Fotos und Berichte der Kinder vom Ernten und Essen zu sehen, wenn ich wieder zurück bin!

Im Moment bin ich mit meinen Eltern und meinem Bruder nämlich in Bosnien und Kroatien unterwegs. Dazu gibt es auch ein paar Bilder, damit alle sehen, wie schön der Balkan sein kann! ;)

 

Das waren also grob die Highlights der letzten Monate. Es bleiben mir jetzt nur noch knapp vier Monate in Bosnien und ich bin schon ein bisschen traurig, wenn ich an den Abschied im August denke. Aber es sind immerhin vier Monate und es steht wieder einiges an, zum Beispiel ein großes Sommerfest im Dom. Davon werde ich dann demnächst berichten. Bis dahin wünsche ich allen frohe Ostern, gutes Wetter, gute Laune und nette Menschen!

 


Der Luxus, seine Zukunft selbst gestalten zu können

 

Bosnien und Herzegowina, ein politisch zerrissenes Land, Konflikte, die tief verwurzelt sind und eine junge Generation, die vor ihrem eigenen Land flieht. Bittere Realität mit der auch ich persönlich stark konfrontiert werde. Wenn ich im Sommer das Land nach meinem Freiwilligendienst wieder verlasse, folgen mir gleich mehrere bosnische Bekannte und Freunde nach Deutschland. Während ich mich auf meine Freunde und meine Familie, sowie mein „gewohntes Umfeld“ freuen kann, wartet auf sie eine neue Sprache, eine andere Kultur („kalt“ habe ich hier schon des Öfteren als Beschreibung gehört), voraussichtlich harte Arbeit und ein Abschied von ihrem „gewohnten Umfeld“. Also eigentlich ziemlich genau der Schritt, den ich vor sieben Monaten mit der Ausreise nach Bosnien gegangen bin. Mit dem Unterschied, dass ich freiwillig ausgereist bin. Für Armela oder Dragan ist das kein „Abenteuer“, keine „wertvolle Erfahrung“, „gut für den Lebenslauf“ oder „interkultureller Kontakt“. Den Luxus eines ganzen Jahres „unbezahlter Pause“ als Freiwilliger können sie sich nicht leisten. Für sie bedeutet dieser Schritt Geld verdienen, um sich und seine Familie versorgen zu können. Zukunft gibt es für sie nur außerhalb von Bosnien. Zum Beispiel in Deutschland. Wo es die Jobs gibt, für die sich viele Deutsche zu Schade sind. Armela hat Journalismus studiert, ihre Zukunft ist aber voraussichtlich eine Ausbildung als Altenpflegerin in Deutschland. Ich möchte damit wirklich keinesfalls die Arbeit sozialer Berufe heruntersetzen! Die Wichtigkeit dieser Berufsgruppe wird mir ja hier in Bosnien gerade erst so richtig bewusst. Es sind wichtige Stützen jeder Gesellschaft, die anscheinend dennoch für uns Deutsche nicht attraktiv genug sind. Es gibt für uns immer noch eine potentiell bessere Möglichkeit, einen besseren, interessanteren Job und vor allem mehr Geld. Ein Gespräch mit jungen Leuten aus Tuzla über meine berufliche Zukunft kommt mir immer lächerlicher vor. Welches Recht habe ich, mich über die geringen Chancen in einen Psychologiestudiengang aufgenommen zu werden aufzuregen, wenn ich mit meinem deutschen Pass und dem Abitur, trotzdem Chancen auf tausend weitere Studiengänge, Ausbildungen, Auslandssemester und gute Jobs habe. Mir wird jede Möglichkeit auf dem Silbertablett serviert und ich kann mir eigentlich sicher sein, dass ich zumindest einen Job haben werde, der mich ernährt.

In Bosnien kannst du ein sehr guter Schüler sein, vier Sprachen perfekt sprechen, reflektiert und gebildet sein, studiert haben und es reicht dennoch nicht für einen Arbeitsplatz von dem du leben kannst. Es gibt einfach zu wenig Arbeitsplätze. Mit viel Glück bekommst du einen unterbezahlten Job, so wie Amir, studierter Journalist, der für die Druckerpresse in einer Druckerei zuständig ist.

Also verlässt du Bosnien in die Länder der Möglichkeiten. Deutschland, Österreich, Schweiz im Normalfall, lässt deine Kultur, dein Land, deine Sprache, deine Familie und Freunde hinter dir, um Geld zu verdienen.

Doch wer bleibt zurück? Was wird aus Bosnien, wenn die junge und gebildete Generation auswandert? Wer stabilisiert das Land angesichts der wackelnden politischen Lage und den Nachwirkungen des Krieges? Wer protestiert für die eigenen Rechte und ein besseres Leben? Die jungen Leute, die auswandern, haben ihr Land oft bereits aufgegeben. Sie reden mit Verbitterung über Politik und Bildungschancen und sehen sich in keiner Verantwortung ihr Land zu unterstützen. Und dafür kann man (ich schon gar nicht) ihnen keinen Vorwurf machen.

 

Das waren jetzt nur ein paar meiner Gedanken, die mich im Moment beschäftigen und die ich gerne mit Euch teilen wollte (was natürlich beinhaltet, dass ich nur meine eigene Wahrnehmung und Meinung dargestellt habe). Denn Deutschland scheint von dieser Veränderung im Süd-Osten Europas kaum Notiz zu nehmen, höchstens profitiert es von den jungen und reflektierten Menschen, die jetzt unsere Alten pflegen.
Der nächste Blogeintrag über die Ereignisse in den letzten Monaten kommt bald nach.
Bis dahin alles Gute und an Alle, die jetzt gerade vor der Entscheidung stehen, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen: Werft Eure Freiheit nicht weg und schätzt die vielen Möglichkeiten, die Ihr habt. Eine Zukunft in Deutschland habt ihr auf jeden Fall.

 

 


12/2016

 

So, jetzt wird es aber auch langsam Zeit... Ein bisschen habe ich über die Advents- und Weihnachtszeit vergessen, dass es da ja noch Leute gibt, die sich dafür interessieren, was ich hier mache! Deshalb heiße ich alle willkommen, die ihren Weg hierher gefunden haben und wünsche Euch nachträglich frohe Weihnachten und ein erfolgreiches Jahr 2017!

 

Schon wieder ist seit dem letzten Eintrag natürlich viel passiert und von diesen Ereignissen werde ich hier vor allem berichten. Aber wie Franzi das in ihrem Blogeintrag schon erwähnt hat, gibt es auch immer wieder Phasen in denen der Alltag so dahinplätschert, die Arbeit mal anstrengend oder wenig spaßig und das Wetter nicht gerade einladend ist. Von diesen Phasen lässt sich nur wenig erzählen, deshalb entsteht vielleicht beim Lesen der Eindruck, wir seien hier 24/7 auf Achse. Es gibt aber auch Nachmittage an denen mal nichts passiert und ich mich langweile. Diesen Kommentar nur am Rande, damit auch das nicht unerwähnt bleibt.

Jetzt aber zu dem, was vielleicht interessanter ist. Die Adventszeit verlief weniger vorweihnachtlich und besonders, als in Deutschland. Es gab ein bisschen Weihnachtsschmuck an ein paar Stellen in der Stadt, aber immer eher spärlich als prächtig. Dafür haben wir dann versucht, es uns in der Wohnung so gemütlich wie möglich zu machen. Das hat auch ganz gut geklappt soweit. Die richtig feierliche Weihnachtsstimmung kam dann aber erst auf, als wir uns für ein Wochenende in DIE Weihnachtsstadt Zagreb aufgemacht haben. Berühmt für die schönen Weihnachtsmärkte hatte ich hohe Erwartungen an die Stadt, die dann auch alle erfüllt wurden! Nahezu die gesamte Innenstadt war beleuchtet, voll mit Menschen, Buden, dem Geruch von Glühwein und Waffeln, eben genau so, wie man sich das wünscht. Ohne große Pläne oder Zeitdruck sind wir durch die Stadt geschlendert und haben uns einfach mal so treiben gelassen. Mir persönlich hat das sehr sehr gut getan. Der Abstand zum Leben in Tuzla und die zarte Verbindung nach Deutschland durch das Weihnachtsfest war wichtig für mich und hat mich mit neuer Kraft in die nächste Arbeitswoche starten lassen. In dieser Woche kam noch eine Besonderheit hinzu: Wir als WG hatten uns entschlossen, die Woche vor Weihnachten mal ohne Internet zu verbringen. Es war eine sehr entspannte Zeit, in der man plötzlich viel mehr Zeit für andere Dinge hat. Heiligabend war so richtig schön und ruhig. Die Messe in der Nacht um null Uhr war an sich nichts Besonderes. Auffällig war für mich dann aber doch der Polizeischutz vor der Kirche. Eigentlich ist Tuzla bekannt für seine hohe Toleranz der Religionen zueinander. Mir wurde vor der Messe erzählt, dass auch viele Muslime an Weihnachten die Messe besuchen, der Solidarität und der schönen Stimmung wegen. Mit dieser Toleranz und Offenheit sind die Bosnier hier in Tuzla uns in Deutschland meiner Meinung nach weit voraus. Umso überraschender war für mich dann der Polizeischutz vor der Kirche...

 

Zu spüren war Weihnachten dann letztendlich aber doch auch in meinen Arbeitsstellen. Denn dort ging es dann vor allem um Geschenke. Hier in Tuzla wird der Brauch des Schenkens aber eher verbunden mit dem neuen Jahr, das hier als ein Familienfest gehandelt wird. Man kommt zusammen bei einem großen Essen zuhause oder in einem Restaurant und feiert zusammen mit der ganzen Familie oder Freunden.

Im Kinderheim gab es nahezu jeden Tag einer Woche ein neues Freudenfest, weil eine andere Organisation oder Schule mit Süßigkeiten daherkam. Wie sinnvoll diese Süßigkeitenpakete sind, kriege ich jetzt zu spüren, weil ich im Kinderheim viel damit beschäftigt bin, den Kindern die dritte Tafel Schokolade auszureden oder den Raum mit den Süßigkeiten zuzuschließen. Die Kinder bekommen keine Grenze gesetzt, was das Essen von Süßigkeiten angeht und ich komme mir manchmal vor, als würde ich gegen eine Wand rennen. Die Kinder sind die Süßigkeiten so gewohnt, dass sie es nicht verstehen, wenn ich sie ihnen vorenthalte. Meinen Kollegen scheint das egal zu sein, solange die Kinder zufrieden sind und sich ruhig verhalten. Dieses Verhalten fällt mir mehr und mehr auf. Priorität der Kollegen scheint zu sein, die Kinder ruhig zu halten und den Tag möglichst entspannt und mit vielen Pausen zu überstehen. Die Kinder werden oft nicht richtig gefordert und gefördert. Damit haben sie auch keine Motivation sich zu verbessern. Das versuche ich im Moment ein bisschen zu beeinflussen und mit einzelnen Kindern bestimmte „Insider“ oder Spielchen zu haben. So spiele ich mit dem Jüngsten oft Memory mit Wörtern, die er vorlesen muss, wenn er eine Karte nehmen möchte. Oder mit einem anderen lerne ich ein bisschen Englisch und Mathe, indem ich ihm immer mal wieder kleine Aufgaben stelle. Mein Gefühl ist, dass ein großes Problem der Kinder im Kinderheim ist, dass sie sich nicht wertgeschätzt fühlen. Sie zählen als Gruppe, aber der Einzelne ist eher unwichtig. Ich habe jetzt darin meine Aufgabe gefunden, den Einzelnen zu wertschätzen und ihnen das Gefühl zu geben, als Individuum zu zählen. Ich versuche mit jedem Einzelnen mal etwas Zeit zu verbringen und mich mal nur mit demjenigen zu beschäftigen. Das klappt auch ganz gut und die Beziehung zu den Kindern verbessert sich dadurch auch merklich! Ich war vorhin aber bei den Süßigkeitenspenden stehengeblieben. Sicher wäre einiges sinnvoller gewesen, als säckeweise Süßigkeiten zu spenden. Fenster sind nicht richtig dicht, Betten angeknackst, Schranktüren kaputt oder eine Dusche funktioniert nicht mehr. Das sind Dinge, die irgendwie nicht angegangen werden, aber dringend notwendig sind, genau wie eine Kiste frisches Obst für die Kidner. Viel kann ich an der Spendenverteilung aber leider nicht ändern, höchstens immer mal wieder anmerken, dass es zum Beispiel in einem Schlafzimmer ziemlich kalt ist, weil die Fenster nicht richtig schließen.

Sinnvoller lief es da im Telex ab und zwar mit einer ziemlich guten Aktion. Meine Kollegen kamen zwei Wochen vor Neujahr auf die Idee, Kinder, deren Eltern sich keine Geschenke leisten können, Briefe an den „Weihnachtsmann“ am Nordpol mit ihren Wünschen schreiben zu lassen. Angefangen wurde mit 15 Briefen von Kindern, die regelmäßig ins Telex kommen. Auf Facebook wurde einer dieser Briefe mit dem Aufruf veröffentlicht, „Weihnachtsmann“ für eines dieser Kinder zu werden und die Wünsche des Kindes zu erfüllen. Die von den Spendern zusammengestellten Geschenke sollten dann ins Telex gebracht werden. Das stieß auf dermaßen große Resonanz, dass Briefe mit Wünschen aus der ganzen näheren und weiteren Umgebung von Tuzla gesammelt wurden und sich am Ende ungefähr für dreihundert Briefe „Weihnachtsmänner- und Frauen“ gemeldet haben. Mit so einem Erfolg hatte niemand gerechnet! Ergänzt wurden die Pakete, die in der nächsten Woche nach und nach von den Spendern ins Telex gebracht wurden, durch Süßigkeiten (Nicht in den Mengen, wie im Kinderheim), die vorher bei einer weiteren Aktion in Supermärkten gesammelt wurden. So bestand die Woche nach Weihnachten und vor Neujahr aus Fahrten mit unserem knallgrünen „Geschenkeexpress“, gefahren vom Weihnachtsmann (meinem Kollegen Adis) höchstpersönlich! Zwei Mal bin ich mitgefahren, ein Mal in das Flüchtlingsdorf „Mihatovici“ von dem ich schon einmal berichtet habe. Dort war die Freude über die vielen Pakete riesengroß und ich war froh diese glücklichen Momente der Kinder miterleben zu können.

Das zweite Mal ging es in zweieinhalb Stunden nach Srebrenica, wo 1995 der Massenmord an Muslimen und Kroaten stattfand. Als wir dort nach einer schönen Fahrt durch die Berge angekommen sind, waren die Kinder der Schule fast alle schon nach Hause geschickt worden. Meine Kollegen waren ziemlich angefressen, wir waren nämlich nur 15 Minuten zu spät. Wir haben dann an die Kinder, die noch da waren, die Pakete übergeben und den Rest den LehrerInnen für den nächsten Schultag überlassen.

 Die Zeit, die wir dann noch in Srebrenica hatten, haben wir genutzt, um die Gedenkstätte für die Opfer des Massenmordes zu besuchen. Die Stimmung dort war beeindruckend und gruselig gleichzeitig, Gräber reihen sich aneinander und verschwimmen zu einem Meer aus weißen Steinen. Es herrschte bis auf ein paar vorbeifahrende Autos absolute Stille! Ein paar der Kollegen hatten es bis zu dem Tag noch nie über sich gebracht diesen Ort zu besuchen und meinten zu mir, es sei ein sehr komisches und auch bedrohliches Gefühl als Muslime im serbischen Teil Bosniens zu sein und dieses Zeugnis des Hasses zwischen den Ethnien vor sich zu haben, gerade weil in Tuzla die Stimmung bezüglich Toleranz eine ganz andere ist. Lange haben wir uns dort nicht aufgehalten, die Stimmung war einfach sehr bedrückend. Auf der Rückfahrt wurde die Stimmung dann aber entspannter und wirklich lustig.

Das Ganze wurde unterstützt dadurch, dass ich Julian dabeihatte, meinen Vorgänger im Dom und im Telex. Er kam über Silvester zu Besuch und ist auch mit nach Srebrenica gefahren. Für mich war es richtig gut, mit ihm über die beiden Arbeitsstellen zu sprechen, seine Erfahrungen und meine zu vergleichen und sich einfach mal über das, was man erlebt mit jemanden zu unterhalten, der in der gleichen Situation war.

Ins neue Jahr bin ich, während die anderen mit Julian in Belgrad waren, leider mit Fieber und Erkältung gestartet. Ein bisschen einsam wurde es dann doch drei Tage alleine in der Wohnung zu sein. Pünktlich als die anderen dann zurückgekommen sind gab es auch den ersten Schnee im neuen Jahr. Dazu kam eine Kältewelle mit sibirischen Temperaturen von bis zu minus 30 Grad! Das Rodeln gehen haben wir uns trotz der Kälte und der schlechten Luft nicht nehmen lassen. Zum Thema schlechte Luft: Wer von Smog hört, denkt wahrscheinlich zuerst an asiatische Großstädte. Dass es das aber auch in Europa gibt, war auch mir nicht bewusst. Tuzlas Luft ist laut Experten die zweitschlechteste in ganz Europa! Das liegt zum einen an der billigen Kohle, mit der die Kohleöfen geheizt werden und an dem großen Kohlekraftwerk direkt neben der Stadt. Jedes Jahr verspreche die Stadt etwas zu tun, aber nichts passiert, habe ich schon ganz oft erzählt bekommen. Einige gehen nur mit Mundschutz vor die Tür oder mit umgebundenen Schal. Bei uns zuhause haben wir immer die Entscheidung, ein stickiges Wohnzimmer hinzunehmen oder es mit Lüften nach Schwefel stinken zu lassen. Das alles macht den Winter hier nicht gerade angenehm und ich freue mich schon so richtig auf den Frühling, der in zwei Monaten kommen soll! Mal schauen, ob sich bis zum nächsten Eintrag etwas geändert hat, ich werde dazu dann nochmal ein paar Wörtchen verlieren.

 

Ich entschuldige mich aufrichtig für die etwas komplizierte Struktur dieses Eintrags, es wird nur immer mehr, das man erzählen könnte und das zusammen zu fassen und aufzuschreiben ist wirklich nicht ganz einfach und führt zu den Gedankensprüngen. Deshalb lasse ich für alles Weitere jetzt ein bisschen mehr Fotos als sonst sprechen. Hoffentlich war es trotzdem ein bisschen interessant und gut verständlich.

Kommt gut durch den deutschen Winter und macht’s gut! ;)

 

 


Weihnachtsstimmung?  11/2016

 

Liebe Leserin und lieber Leser, schön, dass Du hergefunden hast und Dich für meinen vierten Eintrag interessierst! Im letzten Eintrag konnte ich viel berichten über verschiedene Erlebnisse und Ausflüge. Auch dieses Mal war ich wieder ein paar Mal unterwegs. Dazu kommt aber eine große Veränderung. Seit einem Monat arbeite ich jetzt auch im „Dom za djecu“ also im örtlichen Kinderheim.

 

 

Das Kinderheim besteht nun schon länger und hat eine bedeutende Rolle zur Zeit des Krieges gespielt, weil dort die Kriegswaisen von Tuzla untergekommen sind. Ein großer Komplex mit einem großen Garten, einem Fußballplatz und einer Turnhalle. Zu Hochzeiten haben dort bis zu 170 Kinder Platz gefunden, im Moment sind es 47. Darunter sind alle nahezu alle Altersstufen zwischen 6 Monaten und 18 Jahren. Zusätzlich gibt es auf dem Gelände noch eine Zentrale für die Sozialarbeit in der Stadt.

Die vielen Kinder werden in „porodice“ (Familien) organisiert, das heißt eine Gruppe von Kindern, die in einem Teil des Gebäudes zusammenwohnt, ist eine „porodica“. Und das kann man sich auch wirklich bildlich als Familie vorstellen, denn die Kinder sollen dieses Familienzusammenleben und geregelte Strukturen kennenlernen. In den Bereichen einer Familie gibt es die Schlafzimmer mit zwei oder drei Betten, ein großes Wohnzimmer, eine kleine Küche, ein kleines Esszimmer, eine Abstellkammer und in meiner „porodica“ noch ein Büro für die Betreuer. Ich arbeite in einer Familie mit neun Jungs zwischen sechs und sechzehn Jahren. Und ja in einer Familie mit neun Jungs geht es ziemlich rund! Untereinander sind die Jungs praktisch wie Brüder füreinander, helfen sich und spielen zusammen. Auf der anderen Seite streiten sich Brüder natürlich auch mal und bei neun Brüdern sind das ziemlich viele Diskussionen, Knüffe und Rangeleien. Das ist für mich im Moment eine der größten Herausforderungen. Ich kenne die Kinder einerseits noch nicht lange genug um immer einschätzen zu können, wann es wirklich ernst ist und andrerseits stoße ich sprachlich an meine Grenzen, Streitigkeiten auf bosnisch zu lösen. Ich habe dann auch nicht immer einen Kollegen in der Nähe und muss versuchen, die Parteien auf anderen Wegen zufrieden zu stellen. Lehrreich ist das auf jeden Fall. Jetzt fange ich schon direkt mit den Herausforderungen an, aber dann habe ich das wenigstens schon mal abgehakt. ;) Der große Unterschied zwischen der Arbeit im Kinderheim und im Telex ist der viel intensivere Kontakt mit den Kindern im Kinderheim. So wie ich sie kennenlerne, gewöhnen sie sich auch an mich und ich werde langsam als Teil der Gruppe akzeptiert. Sie fragen mich Dinge, bitten mich um Hilfe, wollen mit mir spielen oder mich ärgern. Im Telex ist das zwar auch so, aber auf einer viel oberflächlicheren Ebene. Da sehe ich die Kinder vielleicht ein Mal in der Woche oder weniger und dann nur für wenige Stunden, weil sie unregelmäßig ins Telex kommen.

Im Kinderheim arbeite ich in zwei verschiedenen Schichten, entweder vormittags, oder nachmittags. Damit sehe ich alle Kinder mal und erlebe den ganzen Tagesablauf mit. Ich weiß nicht, ob ich das schon mal erwähnt habe, aber die Kinder in Bosnien gehen entweder morgens oder nachmittags zur Schule. Das hängt immer vom Tag ab, so richtig durchblickt habe ich das noch nicht, aber so sind morgens oder nachmittags immer unterschiedliche Kinder da, manchmal auch alle auf ein Mal. Ich helfe oft bei den Hausaufgaben (sehr zum Ärger einiger fauler Jungs ;) ) und bin sonst einfach da, um mit ihnen rauszugehen, Fußball zu spielen, auf dem Sofa rumzulungern, Karten zu spielen, beim Essen dabei zu sitzen und und und...

 

Ein wirklich schönes Erlebnis im Kinderheim war mein Geburtstag Anfang November. Zu der Zeit war ich erst zum vierten Mal im Kinderheim. Eigentlich wusste niemand, dass ich Geburtstag habe, irgendwie hat es dann aber doch jemand herausbekommen. Innerhalb von einer halben Stunde waren alle Jungs mindestens ein Mal bei mir, um mir zu gratulieren oder mir irgendeine Süßigkeit zu geben. Es wurde sogar eine Torte organisiert und eine kleine Party gefeiert bei der die kleinen Jungs durch das Wohnzimmer gehüpft sind. Damit hatte ich gar nicht gerechnet und war richtig glücklich über die Herzlichkeit der Kinder. Natürlich habe ich auch ein paar Fotos gemacht, aber leider darf ich die Gesichter der Kinder nicht veröffentlichen, was ja auch gut verständlich ist.

Auch zuhause hatten meine lieben Mitbewohnerinnen vor der Arbeit ein Frühstück vorbereitet und einen Kuchen gebacken. Aus einem Tag, von dem ich überhaupt nichts erwartet hatte, ist dann ein ziemlich ereignisreicher und schöner geworden.

 

Die Wochenenden im November waren geprägt von verschiedenen Besuchern unserer WG. Zum Einen haben uns zwei deutsche Freiwillige aus Sarajevo besucht und sich Tuzla angeschaut. Ein weiterer Besucher war Kristian, einer der Verantwortlichen für den Auslandsfreiwilligendienst von „Schüler helfen Leben“ (Der Name ist ungünstig, darüber sind sich alle, auch in der Organisation, einig...), die hier in Tuzla vielleicht eine Freiwilligenstelle aufmachen möchten. Wir haben uns darüber unterhalten, wie es sich hier so leben lässt und was wir hier machen. Und noch eine Besucherin kam am folgenden Wochenende. Sophie ist Freiwillige von „Schüler helfen Leben“ und lebt und arbeitet in Bijeljina, einer Stadt, ungefähr eine Stunde von Tuzla entfernt. Ihr Projekt ist in die dort lebende Roma-Community eingegliedert und sie bereitet Workshops verschiedener Art vor. Im Prinzip ist Projekt ähnlich wie das Telex hier in Tuzla. Sie hat von Bijeljina erzählt und da hatten Stefanie und ich Lust, sie am Wochenende drauf für ein paar Stündchen zu besuchen. Wir waren Kaffeetrinken und sind durch die Stadt spaziert. Auffällig und ungewohnt war für mich vor Allem, dass Bijeljina in einem Teil von Bosnien liegt, der sehr flach ist. Ich hatte mich schon so an die Hügel um Tuzla gewöhnt, dass mich dieses flache Land fast ein bisschen eingeschüchtert hat. Vom Aussehen der Häuser, Straßen und Geschäfte war die Stadt Tuzla nicht unähnlich. Die Stadt liegt aber in der Republika Srpska, dem überwiegend bosnisch-serbischen Teil des Landes (die geografische und politische Struktur Bosniens ist extrem schwierig zu erklären, deshalb bitte ich einfach jeden und jede, der oder die sich dafür interessiert, sich das von einer kompetenteren Quelle als mir, erklären zu lassen ;) ). Nur ganz grob: In Bosnien gibt es vorwiegend drei Bevölkerungsgruppen. Die bosnischen Serben, die Bosniaken und die bosnischen Kroaten. Alle drei Gruppen leben im selben Land und sind theoretisch Bosnier. Nur sprechen sie drei Sprachen, die eigentlich doch dieselbe ist. Sie heißt nur jeweils Serbisch, Bosnisch oder Kroatisch. Im Serbischen gibt es noch den Zusatz, dass man kyrillisch schreibt. Wir waren in Bijeljina also im überwiegend bosnisch-serbischen Teil des Landes. Viele Schilder waren kyrillisch beschrieben und den Leuten dort ist es sehr wichtig, dass sie serbisch und nicht bosnisch sprechen. Sophie, die Freiwillige dort, hat auch erzählt, dass Leute aus Bijeljina niemals in Tuzla studieren würden, obwohl es hier eine gute Uni gibt. Tuzla liegt nämlich im anderen Teil von Bosnien, in dem überwiegend Bosniaken und kroatische Bosnier leben. Die meisten bosnischen Serben in Bijeljina gehen also lieber in Serbien, also in einem anderen Land, studieren, als sich in den Teil der Bosniaken und kroatischen Bosnier zu begeben. Jede dieser Erkenntnisse lässt mich weiter das Ausmaß der Folgen des Krieges nachvollziehen. Zwanzig Jahre haben lange nicht gereicht um alle Wunden verheilen zu lassen. Ich habe das Gefühl, das wird noch Jahrzehnte brauchen.

 

Am vergangenen Freitag war ein bosnischer Feiertag und wir als WG haben kurzfristig beschlossen einen Tagesausflug nach Srebrenik gemacht (nicht zu verwechseln mit Srebrenica, das bekannt ist, für die Ermordung von 8000 Menschen im Krieg). Srebrenik ist eine wirklich nicht besonders schöne Stadt in der Nähe von Tuzla. Eine kleine verlassene Fußgängerzone, graue und kaputte Häuser, Plattenbauten. Nachdem wir einen kleinen Rundgang durch die Stadt und ein Kaffeetrinken beendet hatten, machten wir uns an die interessante Sehenswürdigkeit in der Nähe der Stadt. Wir hatten gehört, sie sollte ungefähr drei Stunden zu Fuß von der Stadt entfernt sein und so machten wir uns ohne Karte oder Internet in die Richtung auf, in der wir sie von weitem kurz gesehen hatten. Immer weiter einen Hügel hoch, an Häusern mit kleinen Gärten, winzigen Maisfeldern, alten Autos und mit der Zeit auch Treckern vorbei. Immer ländlicher die Landschaft, immer kleiner die Autos, immer größer die Felder. Und siehe da, irgendwann haben wir doch tatsächlich eine Wegmarkierung gefunden! Dem Weg sind wir durch kleine Wälder, über Flüsschen, also wirklich wunderschöner Natur und mit warmer Luft gefolgt. Irgendwann wurden wir auch noch begleitet/geführt von einer Straßenhündin, die irgendwann einfach aufgetaucht war. Noch durch ein kleines Dorf auf einer Hügelkuppe und dann hatten wir sie plötzlich vor uns. Die Burg bei Srebrenik wurde 1333 erbaut und ist damit einer der ältesten Bauten in Bosnien-Herzegovina. Dazu steht sie auch noch an einem sehr besonderen und beeindruckenden Standort. Auf einem Felsen von dem aus man weit über Srebrenik und die Umgebung schauen kann. Fotos können die Atmosphäre und den Ausblick gar nicht einfangen, die man dort hat. Ich war ziemlich beeindruckt und unsere kleine Wandertour hat sich nicht nur deshalb auf jeden Fall gelohnt. Es war auch sehr schön, auf dem Weg etwas von der ländlichen Seite dieser Region zu sehen.

 

Im Telex läuft meine Arbeit weiter wie bisher, es gibt immer wieder kleine oder größere Events vorzubereiten, wie zum Beispiel Halloweenpartys, den internationalen Tag der Kinderrechte (mit einem Kinderfest im Telex) oder den Tag gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder, wo meistens Freiwillige in der Stadt auf das jeweilige Ereignis mit Flyern oder kleinen Aktionen aufmerksam machen. Ich bin immer noch sehr zufrieden mit der Arbeit und meinen Kollegen und fahre meistens gut gelaunt zum Telex. Unsere Wohngemeinschaft funktioniert immer besser und wir bereiten uns gerade auf Weihnachten vor. Einen selbstgebastelten Adventskranz und Adventskalender haben wir schon und auch mögliche Weihnachtsdekorationen haben wir schon aus den Schränken gekramt. Winterwetter wurde bis jetzt noch viel von 15 Grad und Sonnenschein ersetzt, aber die Weihnachtsstimmung kommt trotzdem so langsam.

Diesen Blogeintrag möchte ich mit einer kleinen Geschichte von einem Jungen beenden, über die ich viel nachgedacht habe. Diese Geschichte habe ich im Telex von dem Jungen gehört, als er sie erzählt hat.

Ein Junge steht morgens vor dem Supermarkt. Es ist früh, es ist kalt. Ihm ist kalt. Sein Pullover hat Löcher, durch die der kalte Wind pfeift. Ein paar Meter weiter sitzt sein Bruder. Sie haben beide Münzen in den Taschen, Münzen, die ihnen fremde Leute gegeben haben. Der Junge weiß aber, dass es zu wenig Münzen sind, viel zu wenig und dass er bis zum Abend keine zwanzig Mark zusammenkriegt. Er spürt die flache Hand seines Vaters auf der Wange brennen und denkt nach. Er schaut auf seine Schuhe. Sie haben Löcher. Er fühlt auch die Löcher in seinem Pullover und wie die Kälte durch seinen Körper zieht. Und er sieht wie ihn die Menschen anschauen. Misstrauisch, mitleidig, durch ihn hindurch. Keiner schaut freundlich. Und wieder spürt er das Brennen auf seiner Wange. Da packt ihn Wut und Entschlossenheit. Der Junge will nicht mehr nach Hause zurückkehren. Er steht auf und geht zu seinem Bruder. Die Angst vor seinem Vater und den Schlägen, wenn er zu wenig Münzen nach Hause bringt, ist groß. Trotzdem fragt er seinen Bruder. Er kommt mit. Sie nehmen das Geld, dass sie bekommen haben und bezahlen so den Bus in die Stadt. Der Junge kennt das Zentrum in der Stadt und er kennt eine Frau, die dort arbeitet und ihm helfen wird.

Es ist schön warm und es riecht nach Kaffee. Viele freundliche Gesichter, die ihn fragen, wie er heißt, ob er etwas trinken möchte. Ja, er will. Aber die Frau ist nicht da. Er wartet. Die Menschen um ihn herum basteln, blasen Luftballons auf, malen Bilder. Er nimmt einen Stift und malt auch. Sein Bruder steht auf. Er möchte gehen. Er hat Angst vor dem Vater. Doch der Junge bleibt, mit der Sorge um seinen Bruder. Und der Angst vor seinem Vater. Schon zwei Mal, hat er es versucht, doch er war am Ende immer wieder zuhause. Und er wurde bestraft. Dieses Mal muss es klappen. Deshalb wartet er. Und da ist die Frau. Sie fragt ihn, wie er heißt. Und sie lächelt ihn an. Er sagt seinen Namen. Dann erzählt er ihr seine Geschichte. Er möchte weg von zuhause. Woanders leben, nicht mehr betteln, keine Schläge mehr. Die Frau hört ihm zu und spricht mit ihm. Zwei Polizisten und zwei andere Männer kommen. Der Junge hat Angst, aber er ist verzweifelt. Er erzählt ihnen alles. Er ist zwölf. Nein, er war noch nie in einer Schule. Ja, er hat viele Geschwister. Ja, er muss betteln, jeden Tag. Und ja, sein Vater schlägt ihn.

Er fühlt sich sauber. Er hat geduscht, er hat neue Schuhe und einen neuen Pullover. Er hat ein eigenes Bett und etwas Warmes zu essen bekommen. Hier wird er erst mal bleiben, haben die Männer gesagt. Der Junge hat keine Angst mehr.

 

Meine Kollegin Dzenana kannte der Junge und ist deshalb zum Telex gefahren. Er wohnt jetzt erstmal für maximal drei Monate in einem Teil des Kinderheims. Heute habe ich ihn bei dort getroffen und er wirkte glücklich auf mich. Jetzt wird überlegt, was für ihn das Beste ist und man versucht seine Geschwister auch noch zu holen.

Das war es für dieses Mal, ich hoffe, ich konnte einige Fragezeichen bezüglich meines Lebens hier beseitigen. Noch eine kurze Erinnerung: Wer möchte, kann für die beiden Projekte, in denen ich arbeite etwas spenden. Wie das Geld am Ende verwendet wird, entscheide ich mit den Projektpartnern und Jesuit Volunteers am Ende des Jahres.

Ich wünsche Euch allen eine schöne und gemütliche Adventszeit! Und genießt vor allem Eure Zeit mit der Familie!

 


Viel zu erleben oder viel zu tun...

10/2016

 

Liebe Leserin und lieber Leser, schön dass Du dich für meinen dritten Blogeintrag aus Tuzla interessierst! 

Beinahe drei Monate bin ich jetzt schon dabei, mit Kindern zu arbeiten, eine neue Sprache zu lernen, neue Gerichte, Musik, Orte und Gebräuche kennenzulernen und mich so richtig einzuleben. Drei Monate bedeutet nicht weniger als ein Vierteljahr und damit muss ich feststellen, dass ein Viertel meiner Zeit in Bosnien-Herzegowina schon um ist! Da wird es ja Zeit, dass ich endlich mal was erlebe… Aber Stopp, habe ich das nicht schon? Mal sehen, was der letzte Monat so mit sich gebracht hat. 

 

Im letzten Blogeintrag habe ich kurz von neuen Mitbewohnern gesprochen, die am 15. September dann auch hier in Tuzla angekommen sind. Wir haben sie mit einem kleinen bosnischen Kaffeetrinken in der WG begrüßt und haben später auch noch einen Spaziergang in die Umgebung gemacht. Beide sind von der Organisation ASA hier und geben im Agora Kreativkurse und sind bei Deutschkursen dabei, um muttersprachlichen Input zu geben.  

Die Stadt haben wir Stefanie und Selina am Wochenende gezeigt, was auch einen gemeinsamen Friseurbesuch von Franzi, Stefanie und mir beinhaltete. Leider ist der Einsatz für Selina schon vor einer Woche zu Ende gegangen. Es hat Probleme mit den Behörden gegeben und sie hat kein Arbeitsvisum bekommen. Ohne arbeiten zu dürfen hatte der Einsatz hier keinen Sinn mehr und sie ist pünktlich zum Beginn des Wintersemesters nach Deutschland zurückgefahren. 

 

Trotzdem war sie einen ganzen Monat hier und unter Anderem auch beim Wochenendausflug in die Hauptstadt Sarajevo dabei. Für unser Visum brauchen Franzi, Hanna und ich ein gültiges Führungszeugnis aus Deutschland, das wir nur in der deutschen Botschaft in Sarajevo beantragen konnten. Zufällig gibt es auch in Sarajevo deutsche Freiwillige von ASA, von denen eine auch noch Geburtstag hatte! So haben wir uns also am Freitagmorgen um viertel vor sieben am Busbahnhof eingefunden, um dreieinhalb Stunden mit dem Bus durch die wunderschöne Waldlandschaft Bosniens nach Sarajevo zu fahren. In Sarajevo angekommen, haben wir zuerst einmal versucht die deutsche Botschaft zu finden… Es gab da verschiedene Theorien. Schließlich haben wir das kleine Eingangstürchen in einer Seitenstraße dann doch gefunden und alle Papiere ausgefüllt. Nachdem wir unsere Sachen in  unserer Unterkunft gelassen haben, hatten wir den Rest des Tages Zeit, uns die schöne Stadt anzuschauen. Dazu gehörte auch die Altstadt Baščaršija, die zwar Touristenmagnet ist, aber dennoch eine ganz besondere Atmosphäre erzeugt. Dort haben wir uns mit einer weiteren ASA-Freiwilligen zum Falafel-Essen getroffen und ich bin sehr neidisch auf die Freiwilligen in Sarajevo, dass sie das jeden Tag haben können...

Am zweiten Tag haben wir uns mit Eva, dem Geburtstagskind und noch weiteren Freiwilligen und Freunden von ihr aus Deutschland getroffen und den Tag mit Kuchen und Getränken auf einer Ruine auf einem Hügel verbracht. Von dort hatte man einen grandiosen Blick auf die Stadt und die umliegenden bewaldeten Berge. Am Abend haben sich ein paar aus der Gruppe noch einmal getroffen und wir konnten das Nachtleben von Sarajevo kennenlernen. Schließlich ging es dann am nächsten Tag mit dem Bus wieder nach Hause, etwas müde, aber doch zufrieden mit dem Kurzurlaub und den schönen Eindrücken. 

 

Kaum wieder zurück in Tuzla ging es für mich spannend weiter im Telex. Meine Kollegen hatten schon wochenlang das „Kids Festival“ vorbereitet, das vom 4.-6. Oktober stattfand. Was ich mir darunter vorstellen sollte, wusste ich dann auch erst, als ich morgens, bepackt mit Tüten voll Kleber, Farben und Plakaten, in die Turnhalle einer Grundschule in der Nähe vom Telex kam. Schulklassen, Kindergärten, das Kinderheim und das „Koraci Nade“ (die Arbeit von Franziska) sind während dieser drei Tage dorthin kommen. Es gab verschiedene Stationen zum Basteln, Malen und Spielen, man konnte sich schminken lassen, es gab einen Clown und ein riesiges „Mensch-Ärgere-Dich-Nicht“-Spiel, in dem man selber Spielfigur war. Die Kinder sind von Station zu Station geflitzt und wir haben an den Stationen aufgepasst, dass alles einigermaßen geordnet abläuft, geholfen und unterstützt. Wir, das waren alle Kollegen aus dem Telex, Jungs vom „Budi Muško Klub“ (übers. „Sei ein Mann- Klub), weitere Freiwillige und ich. Das ganze war ein ziemlicher organisatorischer und materieller Aufwand, deshalb war ich (wie alle anderen wahrscheinlich auch) sehr müde und fertig nach diesen drei Tagen, aber auch zufrieden, so viele Kinder glücklich und lachend gesehen zu haben. 

Über den „Budi Muško Klub“ sind wahrscheinlich einige von Euch beim Lesen gestolpert… Auch ich war etwas überrascht, als ich schließlich erfahren habe, was hinter diesem Club steckt. Die Jungs sind zwischen 15 und 17 Jahre alt und engagieren sich ehrenamtlich in verschiedenen Projekten für Kinder. Als Freiwillige bei Events wie dem „Kids Festival“ oder sonst in der Aufklärungsarbeit über Themen wie Alkohol, Drogen, Sexualität und Geschlechterrollen. Ihrer Meinung nach wird das in den Schulen in Bosnien viel zu wenig angesprochen und bleibt oft ein Tabuthema. Ich wurde zum Abschluss der Woche mit dem „Kids Festival“ zu einem Treffen im Telex eingeladen. Ich habe viele besser kennenlernen können und es war ein sehr lustiger Abend. 

 

Mit dem fortschreitenden Oktober ist auch der Herbst endgültig nach Tuzla gekommen. Aber nicht grau und matschig, wie oft in Deutschland, sondern mit sonnigen Tagen und bunten Wäldern. Anscheinend ist das die beste Zeit für Bauarbeiten, denn in den letzten Wochen haben gleich drei Baustellen in unserer näheren Umgebung aufgemacht. Vor einigen Jahren gab es in Tuzla eine Überschwemmung des Flusses „Jala“ und viele Leute in dieser Gegend haben ihre Häuser verloren. Im Zuge dessen hat die Stadt diesen Leute neue Grundstücke geschenkt und ein paar dieser Grundstücke liegen direkt vor unserem Haus. Bisher hatte sich nichts gerührt und die Grundstücke waren einfach Wiese. Eines morgens wuselten dann aber bestimmt 15 Männer auf der Wiese herum und haben innerhalb von fünf Tagen ein Betonfundament für ein neues Haus gegossen. Ein paar Meter weiter läuft im Moment dieselbe Prozedur. Ein weiterer Nachbar gestaltet seinen Garten um und macht das Haus winterfest. Mir ist aufgefallen, dass es nicht Handwerksfirmen, große Betonmischer und Bauzäune sind, die diese Baustellen ausmachen, sondern Schaufeln, Eimer und Schubkarren. Und trotzdem geht es irgendwie schneller als in Deutschland, dass so ein Betonfundament gegossen wird. Es ist sehr interessant beim Frühstück zu sitzen und zu beobachten, wie alle genau zu wissen scheinen, was zu tun ist. 

 

Einen schönen Kurztrip nach Kroatien hatten Franzi und ich an einem Freitag mit ihren Kollegen vom „Koraci Nade“ und den Eltern der Gäste. Unser Ziel war die kleine kroatische Stadt „Osijek“, die eine hübsche kleine Altstadt hat. Mit einem langen Aufenthalt an der EU-Grenze und trotzdem guter Laune im Bus sind wir nach drei Stunden angekommen. Wir hatten den vormittag über Zeit durch die Stadt zu laufen und uns alles anzuschauen. Die Stadt erinnerte sehr an eine deutsche oder österreichische Kleinstadt, mit barocker Kirche und Rathaus. Im Nachhinein haben weitere Recherchen ergeben, dass wir nur einen sehr kleinen Teil, der viertgrößten Stadt Kroatiens gesehen haben, die verschiedene Altstädte aus verschiedenen Epochen hat.  Etwas befremdlich war für uns dann das zweite Ziel des Tages: Ein Einkaufszentrum in der Nähe von Osijek. Die vielen westeuropäischen Geschäfte waren anscheinend etwas Besonderes für die Bosnier und alle fuhren anschließend mit vollen Tüten von H&M, Zara und Co (mit Ausnahme von uns) und unter lauter bosnischer Musik nach Hause. 

Und schon zwei Tage später sind Franzi, Hanna und ich schon wieder unterwegs gewesen, zum Wochenendhäuschen unserer Vermieterin Fadila. Dort hat sie uns fantastisch bekocht und gegrillt, wir haben Volleyball gespielt, gequatscht (bosnisch!) und die Aussicht genossen. 

 

Am Dienstag darauf stand der internationale Tag gegen den Menschenhandel an, bei dem das Telex mit verschiedenen Aktionen mitgewirkt hat. Man glaubt es kaum, aber auch im wohlbehüteten Europa ist Menschenhandel ein großes Thema. Und so fand im Telex selbst beispielsweise eine Aufklärungs- und Präventionsveranstaltung für Familien zum Thema Verschleppung und Menschenhandel statt, Freiwillige haben Einkaufswägen in großen Supermärkten mit Nachrichten ausgestattet, in der Stadt wurden Plakate aufgehangen, kleine Schokoladentäfelchen mit kurzen Nachrichten wie „Ne podržavajte prosjačenje“ (übers. „Unterstützen Sie kein Betteln) verteilt und bekleidete Kinderschaufensterpuppen mit ähnlichen Nachrichten in der Stadt aufgestellt. Das hat auf jeden Fall die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich gezogen und wir haben es mit den Aktionen sogar in nahezu alle regionalen Fernsehsender geschafft! (Hier eins der Videos mit meinem Kollegen Adnan im Interview: https://www.youtube.com/watch?v=aAgQkErz99w)

Bettelnde Kinder gehören hier oftmals zum Straßenbild hinzu und werden von ihren Eltern nicht in die Schule geschickt, sondern zum Betteln. Die Aktionen sollten vor allem dazu aufrufen, das nicht mehr zu unterstützen und Betteln von Kindern so nicht mehr lukrativ zu machen. 

 

Fast hast Du es jetzt geschafft, aber eins habe ich noch zu erzählen: Nach drei Monaten darf ich nun endlich anfangen, im Dom, meinem zweiten Projekt zu arbeiten. Das erste Treffen mit den Verantwortlichen hat stattgefunden und ich fange am Montag um acht Uhr an. Ich werde Montags und Mittwochs (später vielleicht auch noch Freitags) im Dom arbeiten und den Rest der Tage im Telex. Meine lieben Kollegen vom Telex nicht mehr jeden Tag um sich zu haben, wird sicher nicht leicht, aber ich freue mich schon sehr auf die Arbeit im Dom! ;) 

 

Generell muss ich noch etwas loswerden: Alles, was ich in meinen Blogeinträgen erzähle, stellt meine eigene Meinung und Wahrnehmung dar, weshalb ich nicht für ihre moralische, politische oder rechtliche Korrektheit garantieren kann. 

Für alle, die mit visuellen Eindrücken mehr anfangen können, als mit meinen Romanen, gibt es jetzt auch noch ein paar Bilder zu den angesprochenen Themen (Für Bildunterschriften bitte anklicken, der dazugehörige Ort steht jeweils in Klammern). 

 

Euch eine gute Zeit und bis zum nächsten Mal!  

 


Eintauchen 09/2016

 

Hallo lieber Leser und liebe Leserin und herzlich Willkommen zu meinem zweiten Blogeintrag aus Bosnien-Herzegowina! 

Wie in meinem letzten Eintrag erwähnt habe ich mittlerweile angefangen im Telex zu arbeiten und nun sind es schon drei Wochen. Neben der Arbeit sind auch in den anderen Bereichen mehrere Wochen vergangen und ich habe dazugelernt in Ortskunde, Sprache und Allgemeinwissen. Um diese Dinge soll es hier hauptsächlich gehen, aber seid mir bitte nicht böse, wenn ich etwas abschweifen sollte. 

 

Ich möchte beginnen mit der Arbeit im Telex und was dort so alles passiert ist. Das Dom, das örtliche Kinderheim ist eine staatliche Einrichtung, deshalb darf ich es erst nach dem Ok der Behörden und einem umfangreichen Medizincheck diesen Mittwoch, inkl. Urinprobe, HIV-Test und allem was dazu gehört, betreten. Das wird voraussichtlich Mitte Oktober der Fall sein, bis dahin arbeite ich fünf Tage die Woche im Telex. Das Telex ist ein Zentrum, das Hilfe in den verschiedensten Bereichen anbietet. Einerseits gibt es meinen Arbeitsbereich, also die Betreuung von Kindern über den Tag. Dieses Angebot wird vor allem von Kindern/Eltern genutzt, die das Geld für einen staatlichen Kindergarten oder die Schule nicht aufbringen können, oder ihre Kinder aus anderen Gründen nicht betreuen können. Das ganze funktioniert auf freiwilliger Basis und ohne Anmeldung, deshalb sind es manchmal nur 5, an anderen Tagen 20 Kinder. Und dann sind sie oft auch zwischen vier und 15 Jahren alt. Viele Kinder sind davon bedroht auf der Straße zu landen oder hatten schon Kontakt mit dem Leben auf der Straße. Oft kann ich kaum glauben, was mir meine Kollegin über die traurigen Geschichten einiger Kinder erzählt und bin einer völlig neuen Situation, so direkt mit einer solchen Welt konfrontiert zu werden. Plötzlich ändert sich der Blick auf die Arbeit mit den Kindern stark und man merkt wie wichtig diese paar Stunden im Telex für die Kinder sein können. Wir spielen und machen Puzzle, lernen lesen oder schreiben, Schulkinder können ihre Hausaufgaben machen, bei gutem Wetter (also nicht zu heiß) kann man auch mal draußen Fussball spielen und Mittags gibt es einen kleinen Mittagssnack.

Hinter diesem Zentrum steckt aber noch wesentlich mehr, wie ich mittlerweile erfahren habe. Es gibt eine Psychologin, einen Beauftragten, der sich gegen Menschenhandel einsetzt und einen Streetworker, der Familien besucht. Zusätzlich laufen auch viele Spendenprogramme usw. über diesen Ort. Es kommen den ganzen Tag immer wieder Leute mit den verschiedensten Problemen vorbei, um mit den Kollegen zu sprechen oder Sachen abzuholen.

Vor zwei Wochen fand anlässlich des anstehenden Schulbeginn ein großes Spendenevent statt. USAID (USA) und die GIZ (Deutschland) hatten viele Schulsachen gespendet und die wurden sehr feierlich an Kinder des Telex und andere verteilt. Sogar ein Fernsehteam fand sich dort ein und alles war in heller Aufregung. Ich durfte Fotos machen und die überglücklichen Kinder beglückwünschen. Es war ein sehr aufregender Tag und das hat man auch meinen Kollegen angemerkt, sie waren sehr darum bemüht, das alles klappt. Mit dieser eleganten Überleitung ( ;) ) möchte ich noch kurz auf meine Kollegen eingehen. Ausnahmslos alle sind unglaublich sympathisch, energiegeladen, frisch und setzen sich für ihre Projekte ein. Und das ist hier nicht selbstverständlich. Durch ihre Hilfe konnte ich mich schnell einfinden und habe Spaß an der Arbeit. Wir sitzen oft noch nachdem alle Kinder weg sind zusammen, trinken Kaffee und man unterhält sich über Alles, was einen so beschäftigt. Das ist sehr angenehm. 

Ein Projekt, dass alle meine Kollegen nebenher beschäftigt, sind zwei Flüchtlingsdörfer ungefähr eine halbe Stunde und eine Stunde von Tuzla entfernt. Adis (Streetworker), Adnan (Beauftragter gegen Menschenhandel) und Dženana (Kinderbetreuung) fahren regelmäßig dorthin, um Hygieneartikel, Anziehsachen, Schulsachen usw. dorthin zubringen. Mir wurde angeboten dort auch einmal mitzufahren und war ziemlich interessiert. Und so saß ich dann letzte Woche Mittwoch mit Adnan und einer Menge Schulsachen und -rucksäcken im Auto zum „Flüchtlingsdorf“ Mihatovići. Warum steht das „Flüchtlingsdorf“ in Anführungszeichen? Das hat mir Adnan auf der Fahrt (halb Englisch, halb Bosnisch) erklärt: Das Dorf wurde ursprünglich im Jahr 1995 für Kriegsflüchtlinge aus der Region von Srebrenica gebaut. Einige leben bis heute dort, weil sie aus den verschiedensten Gründen nicht in ihre Heimat zurückkehren wollten oder konnten. Zusätzlich hat die Stadt Tuzla dieses Dorf nun auch zum Auffanglager für Wohnungslose oder sehr arme Menschen hier in Tuzla gemacht. 

Der Weg zu dem Dorf führte uns erst über ein Stück Autobahn und dann durch kleine Siedlungen und kleine Sträßchen immer weiter einen Hügel hinauf. Als ich das Gefühl hatte, dass es nicht mehr weiter nach oben gehen kann, waren wir auf einmal da. Eine schmale Straße durch Reihen von kleinen, etwas heruntergekommenen Reihenhäuschen vorbei an spielenden Kindern, Wäscheleinen, schlafenden Hunden und winzigen Feldern mit Mais-, Tomaten- oder Paprikapflanzen. Zwischendurch auch kleine Wellblechhüten oder weidende Schafe. Mein erster Eindruck: eine eigene Welt mit einer ganz eigenen Atmosphäre, die mit Worten nicht zu beschreiben ist. Unser Ziel, das Zentrum des Dorfes, eine Art Gemeindehaus, haben wir schnell erreicht und nachdem Adnan kurz mit der Direktorin gesprochen hat, kamen einige Jugendliche zum Auto und halfen die vielen Tüten ins Haus zu tragen. In einem großen Klassenraum sollten die Schulsachen verteilt werden und siehe da, es war wieder ein Fernsehteam vor Ort. Und auch meine Aufgabe kannte ich schon gut, und zwar Fotos der Aktion machen. Nach einigen kleinen Interviews kamen nacheinander die Klassen herein, die offenbar in dem Gemeindehaus unterrichtet werden. Jedes Kind wurde mit Namen aufgerufen und anschließend gab es ein Gruppenfoto mit den neuen Sachen. Nach einer Stunde war alles verteilt, Adnan und ich haben bei der Direktorin im Büro noch einen Kaffee getrunken und er hat sich noch lange vor der Tür mit ihr unterhalten, während ich die besondere Atmosphäre dieses Ortes aufsaugen konnte. Ein eigener Kosmos, isoliert von der Außenwelt.

Dženana hat nach dem Besuch dort zu mir gesagt, „they have many problems up there“ und das kann ich mir sehr gut vorstellen. Es kann nicht die Lösung sein, Menschen in einer solchen Situation einfach aus der Stadt zu verbannen und dort sich selbst zu überlassen. Ob das so wirklich der Fall ist, kann ich natürlich nicht sagen, aber der Eindruck hat bei mir lange nachgewirkt. 

 

So viel zur Arbeit bis hierhin. 

Stark mit der Arbeit verbunden ist, so komisch es klingen mag, das Kaffeetrinken. Es wird hier traditionell sehr viel mehr zelebriert als bei uns in Deutschland und ist immer auch mit einem Beisammensein und Quatschen verbunden. Bosnischer Kaffee wird auch anders zubereitet als bei uns, wie, das durfte ich auch schon lernen. Er ist sehr stark und wird meist schwarz und in kleinen Espresso-Tassen mit viel Zucker getrunken. Man gewöhnt sich schnell daran und erfreut sich der Wunderwirkung hellwach zu sein, nachdem man nur mit Mühe aufstehen konnte. 

Ein weiteres Thema, das ich schon im letzten Eintrag angesprochen habe, ist die Sprache. Kaum zu glauben, aber der Sprachkurs trägt wirklich Früchte und wir kommen voran. Ich habe sogar schon ein kleines Gespräch auf Bosnisch mit einem alten Mann vorzuweisen, der wissen wollte, wer ich bin und warum ich da so am Auto lehne (kurz vor der Abfahrt Richtung Mihatovići). Ich bin also doch zuversichtlich, dass das mit der Sprache zumindest in einfacher Form etwas werden kann, gerade da wir den Sprachkurs im Agora nun regelmäßig weiterführen werden. 

 

Vom Agora gibt es auch Neuigkeiten, denn dort werden demnächst (heute haben wir erfahren, ab morgen) für drei Monate zwei deutsche Freiwillige arbeiten. Der ein oder andere fragt sich nun vielleicht, wo die beiden in der Zeit wohnen werden…? Zufälligerweise geht die Tochter unserer Nachbarin bald für eine Ausbildung nach Deutschland und die Wohnung über uns wird frei. Wir werden unsere WG also um zwei weitere Mitbewohner erweitern, da sie unsere Küche und unser Bad mitbenutzen werden. Wir sind schon sehr gespannt, die Gesichter hinter den zwei Unbekannten kennenzulernen. Auf eine angenehme Koexistenz ;)

 

Was mich sehr glücklich macht, ist das flottgemachte Fahrrad, das jetzt hinter dem Haus nur darauf wartet, befahren zu werden. In Berlin war ich ein sehr aktiver Fahrradfahrer und habe das hier schon sehr vermisst. Wir haben jetzt auch einen guten Fahrradweg in die Stadt gefunden und ich werde morgen früh das erste Mal mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, das dauert 15 bis 20 Minuten. Auf dem Weg kann man sehr gut sehen, wie die Stadt aufgebaut ist. Tuzla liegt in einem langgetrecktem Tal, umgeben von bewaldeten Hügeln. In den Vororten (so wie unsere Gegend Simin-Han, das am Ende des Tals liegt) gibt es vor allem Einfamilienhäuser mit kleinen Gärten und etwas Landwirtschaft. Nähert man sich der Stadt, werden die Häuschen mit Gärten von großen Siedlungen mit sozialistischen Hochhausbauten abgelöst, die man auch im Zentrum an einigen Stellen sieht. Im Zentrum, der Fußgängerzone und drumherum, gibt es vor allem etwas kaputte Altbauten und kleinere Wohnkomplexe, vielleicht aus den 1960ern oder 1970ern. Das Telex befindet sich in einer Nebenstraße kurz vor der Fußgängerzone. Gerade in der Innenstadt und auf den Hauptstraßen ist Tuzla eine sehr belebte Stadt.

Normalerweise. Eine Ausnahme bildet anscheinend der heutige Tag, denn heute (Montag, 12.09.2016) und die nächsten drei Tage findet das diesjährige Bajram, das Opferfest, statt. Und an diesem Tag habe ich bei meiner Fahrradtour heute eine fast leere Innenstadt  angetroffen. Wir haben uns im Vorfeld bei den Nachbarn etwas informiert und erfahren, dass es sich bei diesen Feiertagen neben dem Fastenbrechen nach dem Ramadan um das wichtigste Muslimische Fest handelt. Es ist vielleicht mit Weihnachten bei uns zu vergleichen, denn es ist ein Fest für Freunde und Familie. Dabei wird gefeiert, dass Abraham die Probe Gottes bestanden hat und bereit war seinen Sohn zu opfern. Gott sieht das Vertrauen Abrahams und stoppt die Opferung Isaaks, woraufhin Vater und Sohn aus Dankbarkeit einen Widder schlachten und opfern. Wie es die Tradition will, schlachten also die gläubigen Muslime, die es sich leisten können, auch heute noch ein Opfertier, meist ein Lamm oder ein Schaf. Das wird dann anschließend an Freunde und Bedürftige verteilt. (Vor der Suppenküche für Bedürftige gegenüber meiner Arbeitsstelle reihten sich ein Porsche, ein Audi und noch ein Audi aneinander, die anscheinend der Suppenküche das Fleisch spendeten). Jedenfalls durften Franzi und Hanna heute morgen, während ich noch geschlafen habe, bei einer solchen Schlachtung dabei sein. Näheres findet Ihr dann bestimmt in ihren Artikeln, aber sie meinten es war nicht so schlimm wie erwartet… Im Laufe des Tages kam Fadila, unsere Vermieterin, vorbei und hat uns ein Stück rohes Lamm, sowie selbstgemachte Baklava (eine extrem süße, nussige Süßspeise mit Blätterteig, Haselnuss und Honig) vorbeigebracht. Wir waren sehr dankbar und haben uns noch gefragt, ob wir in ihren Augen nun Freunde oder Bedürftige sind ;) Das Fleisch haben wir heute Abend auch direkt gekocht und uns sehr bosnisch gefühlt.

 

Im Anschluss gibt es jetzt auch noch einige Bilder zu den angesprochenen Themen, ich hoffe sie können zusammen mit dem Text einen kleinen Eindruck von dem vermitteln, was ich erlebe. Wenn Ihr Fragen oder Verbesserungsvorschläge habt, freue ich mich über jede Meldung. Und noch einen Punkt möchte ich ansprechen: Ich arbeite nun seit drei Wochen im Telex und habe jetzt schon Einiges gesehen, was finanzieller Unterstützung bedarf. Mit einem kleinen Beitrag (siehe "Unterstützung") kannst Du zwar nicht die Welt retten, vielleicht auch kein Haus bauen, aber Du kannst einen anderen Menschen glücklich machen. Das Geld, dass auf mein Spendenkonto kommt, wird nach meinem Einsatz zu 100% in die Projekte gesteckt, in denen ich gearbeitet habe. Dabei werde ich mit JV und den Projektpartnern entscheiden, wofür das Geld verwendet wird. Wenn viele Menschen einen kleinen Betrag geben, kann daraus etwas Großes werden. Natürlich ist es keine Schande mit der Spende noch zu warten bis ich mehr über die Projekte informiert habe oder nichts zu spenden. Auch die Anteilnahme an meiner Arbeit und dem Land ist schon sehr viel wert! Vielen Dank! 

Das war es für dieses Mal. Alles Gute Euch und viel Erfolg mit dem, was Ihr tut. 

Johannes 

 

 

Unser Zuhause! Im Erdgeschoss wohnt unsere Vermieterin Fadila, die Wohnung mit dem großen Balkon ist unsere WG und darüber ziehen die neuen Freiwilligen ein.

Ab jetzt hoffentlich mein treuer Begleiter...


Volksmusik und Sprachbarrieren 08/2016

 

Nachdem meine beiden Mitbewohnerinnen Hanna und Franziska schon Blogeinträge geschrieben haben, ziehe ich jetzt nach. Herzlich Willkommen lieber Leser und liebe Leserin auf meinem ersten Blogeintrag in Bosnien! ;)

 

Zehn Tage Full-Time Bosnien und es gibt schon sehr viel zu erzählen. Geschichten zur Busfahrt hierher und unsere Ankunft hier könnt Ihr bei Hanna und Franzi nachlesen, ich möchte eher auf unser "Einleben" hier eingehen. Dabei hat uns vor Allem unser Vorgänger Julian sehr geholfen. Tipps und Tricks von guten Cafés über die richtigen Busnummern, die uns dann auch wirklich nach Simin Han führen, bis hin zu Wegbeschreibungen zu Bäcker, Post und Co waren für uns zum Eingewöhnen Gold wert. Zudem hat er mir persönlich auch ganz einfach meine anfängliche "vorsichtige Distanz" zu diesem Land und der Stadt genommen. Nach seiner Abfahrt vor einer Woche hatte ich dann das Gefühl: So, es kann losgehen, wir sind vorbereitet, ist doch alles halb so wild. Und dann? Dann merkt man auf einmal ohne Julians Bosnisch wie aufgeschmissen man doch eigentlich sein kann, wenn man die Sprache eines Landes nicht kann und von lächelnden, wildfremden Menschen angesprochen wird, die einen auf Bosnisch bequatschen. Unsere Taktik ist bisher noch die überaus erfolgreiche "lächeln-und-nicken"-Taktik, die meistens mit einem etwas verwirrten Gesichtsausdruck auf beiden Seiten endet.

Doch jetzt eröffnet sich seit Montag für uns eine völlig neue Welt: Wir machen einen Zwei-Wochen-Intensivsprachkurs im Agora! Das Agora ist ein Kulturzentrum bei uns in der Nähe, dass neben Sprachkursen und -seminaren sehr viele weitere Kurse, Veranstaltungen und Begegnungsmöglichkeiten anbietet. Wir wurden dort wahnsinnig freundlich begrüßt und ich bin mir sicher, dass Ihr vom Agora noch viel hören werdet, wir werden auf jeden Fall versuchen uns dort irgendwie einzubringen. Bis dahin haben wir aber noch eine Kleinigkeit vor uns: Bosnisch ist mit sieben Fällen und sehr vielen Ausnahmen nicht gerade unkompliziert. Doch was für ein Triumph, beim Bäcker statt "zwei (hochgehaltene Zeige und -Mittelfinger) ähhm das da (drauf zeigen)" plötzlich "dva hjleba i tri krosani" sagen zu können (ob das jetzt wirklich richtig ist?). Unsere Sprachlehrerin, die momentan Deutsch studiert, macht ziemlich Tempo, weshalb wir theoretisch ziemlich schnell vorankommen, praktisch dann aber doch lange über den Hausaufgaben brüten. Der Sprachkurs ist momentan unsere Hauptbeschäftigung. 

Hinzu kommen Einkäufe, Wohnungsumräumungen und mehr oder weniger erfolgreiche Kochaktionen, wir sind ja noch in der Findungsphase. ;) Wirkliche Herausforderungen sind alltägliche Problemchen. Hier eine Auswahl: Wie transportieren wir die 24 Liter Wasser in Kanistern jetzt am Besten nach Hause? (Das Leitungswasser ist mit Chlor versetzt und man riet uns, es nur in Maßen zu genießen) Was machen wir mit einem Topf Linsen, die wir zu viel gekocht haben?  Ist das jetzt Rindfleisch? (auf Bosnisch) Antwort Verkäufer: Yes! (breites Lächeln), Ankunft zuhause: Es ist Schweinefleisch. 

Auch einen Vorgeschmack auf die bosnische Kultur bekommen wir nun jeden Abend in Form von sehr lauter und fröhlicher bosnischer Volksmusik, die offenbar zu einem Abend mit Freunden dazugehört. Entweder aus dem Wohnzimmer unserer Vermieter, die unter uns wohnen oder von der Terrasse der Nachbarn nebenan. Ich würde Euch zu gerne ein Hörbeispiel geben, aber da das auf diesem Weg schwierig ist, kann ich es nur beschreiben. Man benötigt ca. zehn bis fünfzehn gut gelaunte Freunde, einen Grill, Cevapi (traditionelles Fleischgericht), zwei Akkordeons plus Spieler, Männer, die singen, Frauen, die tanzen und ein Wohnzimmer oder eine Terrasse. Ein großer Unterschied zu Deutschland: Die Polizei wäre schon drei Mal aufgrund einer Beschwerde wegen Lärmbelästigung vor Ort gewesen. In Bosnien sind einfach alle Nachbarn, die in Frage kommen, eingeladen. ;) Ich persönlich finde die Volksmusik im Hintergrund sehr schön, gestern saßen wir auf unserem Balkon und haben andächtig gelauscht.

Wir leben uns hier so ganz langsam wirklich ein und es entsteht durch den Sprachkurs fast so etwas wie Routine. Am Wochenende werden wir unsere freie Zeit nutzen, um noch einmal in das große Salzsee-Schwimmbad hier in Tuzla zu gehen, einzukaufen, die Wohnung zu putzen, unsere Fahrräder auf Vordermann zu bringen und Tuzla weiter kennenzulernen. Ein ganz normales Wochenende wie jedes andere in Deutschland auch also, mit dem kleinen Unterschied, dass wir uns in Bosnien befinden, einem Land in Süd-Ost-Europa, dass bis wir vor zehn Tagen noch nie gesehen haben.

 

Das war es für dieses Mal. Mein nächster Blogeintrag wird folgen sobald ich meine ersten Schritte in meiner Arbeitsstelle gemacht habe, also vermutlich Anfang September. Vielen Dank, dass Du dir die Zeit genommen hast diesen Eintrag zu verfolgen. Auch meine Mitbewohnerinnen berichten auf diesem Blog von ihrer Zeit hier. Schau doch auch dort mal vorbei! :) Eine gute Zeit und bis zum nächsten Mal!

 

 

Auf diesem Kiesplatz stand bis vor kurzem noch das Rathaus von Tuzla. Es wurde abgerissen, weil das Gebäude durch die Salzminen unter der Stadt gefährdet war, abzusacken.

Endlich bekommen wir auch mal Besuch auf unserem Balkon! 

Schafe gibt es hier in der Nachbarschaft auch, Franzi war begeistert...